Die Datengenossenschaft: Ein Zukunftsmodell für den Umgang mit der Ressource Daten

Big Data als Rohstoff der Zukunft. Aber wer hat das Sagen? Die Genossenschaft Posmo baut ein demokratisch gemeinschaftliches und faires Modell für die Datenökonomie auf.

29. Oktober 2022
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Lea Strohm

Daten sind durch Beobachtungen und Messungen gewonnene Werte. Erst wenn Daten ausgewertet werden, liefern sie uns Informationen. Schon seit Jahrtausenden werden Daten erhoben und ausgewertet. Daten über den Stand der Sonne, Daten über die Bevölkerung von Ländern. Doch seit der Erfindung des Computers und mehr noch seit der Erfindung des Internets hat die Sammlung und Auswertung von Daten neue Dimensionen angenommen. Für die meisten digitalen Anwendungen sind nicht einzelne Datenpunkte von Interesse, sondern grosse Datensätze. Das digitale Zeitalter macht es möglich, riesige Datenmengen zu sammeln, zu kombinieren, auszuwerten und zu vermarkten. Aus den Daten werden Erkenntnisse gewonnen und Vorhersagen getroffen: über das künftige Kaufverhalten von Nutzer:innen, über das Wahlverhalten von Stimmbürger:innen oder über das abendliche Verkehrsaufkommen.

Doch während persönliche Daten im grossen Stil gesammelt, analysiert und weiterverkauft werden, müssen Nutzer:innen einen Kontrollverlust über ihre persönlichen Daten hinnehmen. Weder verstehen sie richtig, wofür ihre Daten verwendet werden, noch geben sie ihre Zustimmung zur Verwendung. Daran können auch die bedeutenden Änderungen der Datenschutzgesetze nichts ändern. Neben dem Kontrollverlust des Einzelnen führt die derzeitige Situation dazu, dass sich der datenbasierte Informationsgewinn hauptsächlich bei privaten Unternehmen konzentriert. Denn die Daten sind in der Regel für andere Akteure nicht zugänglich, die sie im Interesse der Gesellschaft nutzen möchten. Einige wenige Privatunternehmen häufen so extreme wirtschaftliche und politische Macht an.

Um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern und die Kontrolle über unsere Daten zurückzugewinnen, bedarf es alternativer Geschäftsmodelle und Organisationsstrukturen. Diese müssen es ermöglichen, die individuellen Daten vieler Menschen so zu kombinieren, dass sie für die Analyse grösserer gesellschaftlicher Fragestellungen interessant werden und Innovationen zum Nutzen der gesamten Gesellschaft fördern. Darüber hinaus sollen diese Organisationsstrukturen den Nutzer:innen Entscheidungshoheit über die Verwendung ihrer persönlichen Daten geben und sie an der wirtschaftlichen Wertschöpfung aus ihren Daten beteiligen.
 
Eine Genossenschaft für Daten
Aus dieser Motivation heraus haben wir die Datengenossenschaft Posmo gegründet. Posmo entwickelt ein neuartiges Geschäfts- und Organisationsmodell zur Sammlung, Verwaltung und Nutzung von Mobilitätsdaten. Im Zentrum stehen dabei der ethische Umgang mit sensitiven personenbezogenen Daten und die Überzeugung, dass eine gute Datengrundlage eine zentrale Ressource für den Ausbau zukunftsfähiger Mobilität ist.



Posmo (von POSitive MObility) wurde im Mai 2020 gegründet und ist die erste Genossenschaft für alle Mobilitätsdaten. Posmo verfolgt zwei zentrale Ziele: Erstens wollen wir die technische Infrastruktur, die Organisationsstrukturen und die Steuerungsmechanismen einer Datengenossenschaft entwickeln, testen und implementieren. Dabei steht der Schutz derer, die wir als Datenproduzent:innen bezeichnen, im Zentrum. Zweitens wollen wir den besten Datensatz zur individuellen Mobilität in der Schweiz aufbauen, um ihn öffentlichen Verwaltungen, Forschenden, politischen Entscheidungsträger:innen und möglicherweise anderen interessierten Partnern gegen Bezahlung zur Verfügung zu stellen.

Die Genossenschaft bietet sich aus verschiedenen Gründen als eine vielversprechende Organisationform an. Laut der Definition der International Cooperative Alliance sind "Genossenschaften personenorientierte Unternehmen, die sich im Besitz und unter der Kontrolle ihrer Mitglieder befinden, um deren gemeinsame wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bestrebungen und Bedürfnisse zu befriedigen". Die Genossenschaft stellt somit ein Geschäftsmodell dar, bei dem Kapital und Ressourcen nicht im Besitz einiger weniger Unternehmen sind, sondern von vielen Menschen gemeinsam erzeugt und genutzt werden. Sie basiert auf einer Organisationsform, die es allen ermöglicht, Miteigentümer:in zu werden, demokratische Kontrolle über die Verwendung des Kapitals auszuüben und einen eigenen Anteil an der Wertschöpfung zu erhalten.

Pilotprojekt mit der Stadt Zürich
Seit August 2022 läuft ein Pilotprojekt zum Thema Datenspende in Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich und weiteren Partnerorganisationen. Dabei werden Stadtbewohner:innen eingeladen, über eine mobile App ihr persönliches Mobilitätsprofil aufzuzeichnen und diese via Posmo anonymisiert und aggregiert für die Stadt verfügbar zu machen. Die Abteilung Stadtentwicklung der Stadt Zürich möchte testen, inwiefern diese Art von Mobilitätsdaten innerhalb der Verwaltung genutzt werden kann, um die Planung der Veloinfrastruktur zu verbessern oder Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel vorzuschlagen.

Zwei grosse Herausforderungen stellen sich bei diesem Projekt: Wie können wir die Zürcher:innen dazu motivieren, ihre Mobilitätsdaten zur Verfügung zu stellen? Und wie können wir die ethischen Risiken minimieren, die mit der Erhebung von äusserst sensiblen persönlichen Daten verbunden sind?

Die Frage der Motivation und der Anreize für die Spende persönlicher Daten ist zentral. Wir bieten den Teilnehmer:innen eine mobile App zum Download an, die ihnen detaillierte Informationen über ihr Mobilitätsverhalten liefert, unter anderem ihre Bewegungen und ihren CO2-Fussabdruck. Die App erstellt Mobilitätsprofile, indem sie aus den GPS- und Sensor-Daten der Bewegungen durch die Stadt den Transportmodus (z.B. zu Fuss, Velo, Auto, Zug) mittels künstlicher Intelligenz ermittelt. Zeitlich begrenzte Aktionen mit Preisen oder finanziellen Anreizen werden ebenfalls in Betracht gezogen. Eine wichtige Motivation, die von Teilnehmenden wiederholt erwähnt wurde, ist es, zu erfahren, welche Auswirkungen ihre gespendeten Daten haben: Wie die Daten verwendet werden und welche Entscheidungen dank dieser Daten getroffen werden können.

Eine weitere Herausforderung bezieht sich auf den ethischen Umgang mit den gespendeten Daten. Die Stadtverwaltung vertritt den Standpunkt, dass die Erhebung und besonders die Speicherung detaillierter Standortdaten durch staatliche Institutionen Risiken birgt. Dennoch sind diese Daten für die Behörden von grossem Interesse und ermöglichen es, fundierte, datenbasierte Entscheidungen zu treffen. Daher erfolgt die Sammlung und Verwaltung der gespendeten Daten ausschliesslich durch Posmo, die sie der Stadt in anonymisierter und aggregierter Form zur Verfügung stellt.

Kontrollmechanismen und Governance
Doch wie garantiert Posmo, dass die ihr anvertrauten Daten geschützt und verantwortungsvoll genutzt werden? Die Governance der Genossenschaft ist von entscheidender Bedeutung. Ein zentrales Gremium dafür ist der unabhängige Ethikrat. Er hat die Aufgabe, den ethischen Umgang mit allen von Posmo verwalteten Daten sicherzustellen. Die Verwaltung, für die operativen und strategischen Aktivitäten zuständig, dient als Bindeglied zu den Datenproduzent:innen, Technologieanbietern, Kund:innen sowie zu den Genossenschaftsmitgliedern. Der Ethikrat muss jedes externe Projekt genehmigen, das auf die Daten der Genossenschaft zugreift. Darüber hinaus beaufsichtigt und kontrolliert der Ethikrat die Verwaltung und den Technologieanbieter, vor allem in Bezug auf technische Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von maschinellem Lernen bzw. künstlicher Intelligenz. Sowohl der Ethikrat als auch die Verwaltung werden von den Mitgliedern der Genossenschaft gewählt. Die Mitgliedschaft steht allen offen, die die Werte und die Vision von Posmo teilen, und erfordert den Kauf von Anteilsscheinen und die Erhebung eigener Daten. Die Mitglieder bilden die Posmo-Gemeinschaft und tragen in verschiedenen Arbeitsgruppen zu Themen bei, die sie interessieren.

Marktpotenzial und Aussicht
Im Kern besteht das Geschäftsmodell von Posmo darin, Daten zu sammeln und die aggregierten Daten anderen gegen Gebühr zur Verfügung zu stellen.  

Um so viele Daten wie möglich zu sammeln, verfolgen wir zwei spezifische Strategien. Zum einen bieten wir Organisationen, die sich für das Mobilitätsverhalten bestimmter Zielgruppen interessieren, an, über sogenannte «Posmo Projects» Daten zu erheben. Zu diesen Datensammelnden Organisationen (DO) gehören unter anderem Universitäten, die Mobilität erforschen, oder andere öffentliche Einrichtungen, die sich für das Mobilitätsverhalten der Einwohner:innen interessieren, oder Unternehmen, die im Rahmen ihrer Mobilitätsstrategie ein nachhaltigeres Pendelverhalten ihrer Mitarbeitenden fördern wollen. Diese Projekte sammeln Daten mit der von Posmo und ihrem Technologiepartner bereitgestellten Technologie, die in den kooperativen Datenpool fliessen. Der Anreiz für eine Organisation, sich an diesem Modell zu beteiligen, ist dreifach: Erstens erhalten sie nicht nur Zugang zu den von ihrem Projekt gesammelten Daten, sondern sie können auch auf weitere im Pool verfügbare Daten zurückgreifen. Zweitens erhalten sie einen Kredit, wenn die von ihnen im Pool bereitgestellten Daten an Dritte verkauft werden. Drittens wird der Dialog mit den Datenproduzent:innen bezüglich Einwilligung zur Weiterverwendung und die Sicherheit der Daten an Posmo ausgelagert. 

Unsere zweite Strategie besteht darin, an Mobilität und nachhaltigen Geschäftsmodellen interessierte Menschen dazu zu bewegen, Daten zu sammeln und der Genossenschaft beizutreten. Zu den Anreizen einer Mitgliedschaft gehören der Zugang zur wachsenden Posmo-Gemeinschaft, die Möglichkeit mitzuhelfen diesen revolutionären Paradigmenwechsel in die Tat umzusetzen sowie ein Anteil an den Erträgen, die Posmo durch den Verkauf der auf seinen Daten basierenden Erkenntnisse erzielt, zu erhalten.

Doch wer interessiert sich für diese Art von Daten? Für viele, die mit dem Bereich Mobilität nicht vertraut sind, mag es überraschend sein, dass derzeit nur wenige und qualitativ schlechte Daten auf dem Markt verfügbar sind. Demgegenüber gibt es viele Interessierte: Forschende, die das Mobilitätsverhalten untersuchen, Stadt- und Mobilitätsplaner:innen, die beispielsweise an Verkehrsinfrastrukturprojekten arbeiten, Werbetreibende, die bessere Informationen darüber suchen, welche Art von Menschen vor ihren Werbetafeln vorbeigehen, oder sogar Gesundheitsbehörden, die auf der Grundlage von Mobilitätsdaten über Pandemiemassnahmen entscheiden. Für diese sogenannten Datenabnehmer:innen (DA) fungiert Posmo als ethischer Datenbroker, der Mobilitätsdaten in aggregierter und anonymisierter Form, und durch den Ethikrat überwacht, gegen eine Gebühr zur Verfügung stellt. Für die Genossenschafter:innen soll zudem ein Instrument geschaffen werden, das die maximale Transparenz über die Verwendung der Daten erlaubt. 

Der Weg in die Zukunft
Die Datengenossenschaft als innovatives und neuartiges Modell für die digitale Wirtschaft stösst auf grosses Interesse von verschiedenen Seiten. Obwohl Themen wie Datenschutz und die beängstigende Macht der Technologiekonzerne immer mehr Menschen und Organisationen beschäftigen und beunruhigen, sind alternative Modelle, die mehr als nur auf Papier existieren,  immer noch selten. Die Datengenossenschaft ermöglicht es Einzelpersonen, mit ihren Daten einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert zu schaffen. Sie zeigt neue Wege der Zusammenarbeit für verschiedene Akteure wie Forschung, öffentliche Verwaltung und Privatunternehmen auf - und sichert gleichzeitig die Kontrolle der Datenproduzent:innen über ihre persönlichen Daten. Trotz Herausforderungen wie dem eher trägen Marktumfeld und knappen finanziellen und personellen Ressourcen, arbeiten wir bei Posmo daran, eine echte Alternative zu bieten, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten ermöglicht und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich ist.


Öffentliche Erstpublikation:
Swissfuture 
Magazin für Zukünfte

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