Datenlücken: Die blinden Flecken der Mobilitätsforschung
Swipen, bevor wir ins Tram einsteigen, das Auto selbst an die Geschwindigkeit anpassen lassen oder den schnellsten Weg zum Restaurant nachschauen: Wer unterwegs ist, generiert Daten. Daten, die gesammelt, verwaltet, analysiert und gespeichert werden. Doch von wem kommen diese Daten? Wer wird erfasst? Wird Mobilität dadurch ermöglicht oder eingeschränkt? Wer hat Zugang? Und wie steht es um die Gerechtigkeit? Diese und weitere Fragen diskutieren wir in dieser Blogserie: “Datenlücken: Die blinden Flecken der Mobilitätsforschung”.
Datenlücken entstehen, wenn bestimmte Gruppen von Menschen nicht in Datenmengen repräsentiert werden. Bei Mobilitätsdaten stellen diese Datenlücken eine Herausforderung für die Gleichberechtigung dar. Denn soziale Ausgrenzung kann die Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aktivitäten behindern. Mobilität ermöglicht Menschen Zugang zu Dienstleistungen und Gütern, um sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Sie ist also ein wichtiger Indikator für die soziale Inklusion1.
Die Herausforderungen einer repräsentativen Mobilitätsdatenforschung
Moderne Mobilitätsforschung ist eng mit dem Sammeln, Verwalten und Analysieren von Daten verbunden. Durch das Navigieren mit Karten Apps oder die Steuerung von autonomen Fahrzeugen werden grosse Mengen an Daten gesammelt, gespeichert und verarbeitet. Big-Data kann dazu beitragen, individuelle Mobilitätsmuster zu verstehen. Damit diese Daten repräsentativ sind, müssen Datenlücken geschlossen werden. Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind gleichermassen in der Lage, Mobilitätsdaten zu erheben und zu nutzen. Beispielsweise erfassen traditionelle Datenerhebungsmethoden wie Umfragen oder Verkehrszählungen die vielfältigen Mobilitätsformen von Frauen, Jugendlichen und Menschen mit Behinderung nur bedingt. Diese Abwesenheit bewirkt der marginalisierten Bevölkerungsgruppen in der Mobilitätsplanung bewirkt eine Unterrepräsentation von Perspektiven und Nutzungsgründen2.
Die Blogserie “Datenlücken: Die blinden Flecken der Mobilitätsforschung” beleuchtet drei Fokusgruppen, die in Mobilitätsdaten unterrepräsentiert sind: Frauen, Teenager und Menschen mit Behinderungen.
Was die Forschung über geschlechtsspezifische Mobilität sagt
Forschungsergebnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Nutzung von Mobilitätsdiensten zeigen, dass Frauen weniger oft einzigartige Orte besuchen und ihre Zeit weniger gleichmässig auf verschiedene Orte aufteilen3. Besonders sozioökonomische Faktoren und Urbanisierungsgrade beeinflussen die Mobilitätsmöglichkeiten von Frauen stark. Frauen berichten signifikant häufiger mit Mobilitätsschwierigkeiten konfrontiert zu sein als Männer4. Faktoren, die diese Schwierigkeiten beschreiben sind unter anderem Belästigung, Diskriminierung, und Gewalt5. Um gerechtere, sichere und inklusive Mobilität zu gewährleisten, müssen geschlechtsspezifische Unterschiede sichtbar gemacht und Verhaltensweisen aufgezeigt werden.
Die fehlende Generation: Unterrepräsentation von Jugendlichen in Mobilitätsdaten
Jugendliche sind ein bedeutender Teil der Bevölkerung. In der Schweiz zählt rund 19.9% der ständigen Wohnbevölkerung den Altersgruppen 0 bis 19 Jahre an. Der Jugendquotient, das heisst, die Anzahl von 0- bis 19-jährigen pro 100 Personen im Alter von 20 bis 64, entspricht in der Schweiz laut dem Bundesamt für Statistik 32.7 %6. Das Mobilitätsverhalten von Jugendlichen wird in traditionellen Mobilitätsstudien nicht erfasst, da sie oft nicht in Forschungsprojekte einbezogen werden. Ihre transportbezogenen Aktivitäten werden durch traditionelle Mobilitätserfassungssysteme nicht erfasst, aufgrund der sich schnell verändernden Bedürfnisse und einem anderen Umgang mit Technologie7.
Barrieren überwinden: Herausforderungen und Chancen für eine inklusive Mobilität
Traditionelle Mobilitätsdatenerhebungen und -analysen berücksichtigen oft nicht die einzigartigen Bedürfnisse und Barrieren, denen sich Menschen mit Behinderung gegenübersehen. In der Schweiz werden Initiativen für die Barrierefreiheit nur bedingt umgesetzt. Im öffentlichen Verkehr beispielsweise sind die SBB per Gesetz verpflichtet, alle Bahnhöfe der Schweiz barrierefrei zugänglich zu machen. Denn viele Bahnhöfe und Züge der SBB wurden in einer Zeit gebaut, in der Barrierefreiheit noch kein Thema war. Dieses Ziel wurde, wie festgesetzt, bis Ende 2023, nicht erreicht. Menschen mit Behinderung sind im Verkehr oft einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt und haben einen eingeschränkten Zugang zu Bildung, Arbeit und Freizeitaktivitäten. Daten über die Mobilität von Menschen mit Behinderung können helfen, die Verkehrsplanung und -infrastruktur gezielt und effizient zu verbessern.
Posmo schliesst Datenlücken
Um Verantwortung zu übernehmen und Datenlücken zu schliessen, müssen neue nicht-diskriminierende Arten der Datenerhebung umgesetzt werden. Bei Posmo bedeutet dies eine Datenerhebung durch das Individuum, die Datenproduzent:innen. Das Ziel ist es, individuelle Mobilität in all ihren Facetten zu erfassen. Mit der Posmo Project App wird das individuelle Mobilitätsverhalten automatisch erfasst und kategorisiert. Dies erlaubt es auch marginalisierten Bevölkerungsgruppen verkehrsmittelübergreifend, ihre Daten zu erfassen. Diese Daten fliessen in den Commons-Pool. Im Commons-Pool werden sämtliche mit dem Posmo Project App gesammelte Daten vereint. Das Ziel ist es, den grössten, repräsentativen Datenpool zu individueller Mobilität zu erreichen.
Im nächsten Blog Artikel, beleuchten wir im Speziellen die Rolle der Frauen in Mobilitätsdaten und inwiefern sie Geschlechterspezifische Benachteiligungen erfahren können.
- Yu, P., & He, S. Y. (2023). An investigation into the impact of the built environment on the travel mobility gap using mobile phone data. Journal of Transport Geography, 108, 103571. doi:https://doi.org/10.1016/j.jtrangeo.2023.103571
- Navarrete, A., & James, W. (2004). The gendered city: Espacio urbano Y construcción de género. Ediciones de la Universidad de Castilla-La Mancha.
- Gauvin, L., Tizzoni, M., Piaggesi, S., Young, A., Adler, N., Verhulst, S.G., Ferres, L., & Cattuto, C. (2019). Gender gaps in urban mobility. Humanities and Social Sciences Communications, 7.
- Mechakra-Tahiri, S., Freeman, E., Haddad, S., Samson, E., & Zunzunegui, M. (2012). The gender gap in mobility: A global cross-sectional study. BMC Public Health, 12, 598 - 598. https://doi.org/10.1186/1471-2458-12-598.
- Lubitow, A., Abelson, M., & Carpenter, E. (2020). Transforming mobility justice: Gendered harassment and violence on transit. Journal of Transport Geography, 82, 102601. https://doi.org/10.1016/j.jtrangeo.2019.102601.
- Bundesamt für Statistik. (2022). Alter. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/stand-entwicklung/alter.html
- Smaniotto Costa, C., Batista, J. S., Almeida, I., & Menezes, M. (2020). Exploring teenagers’ spatial practices and needs in light of New Communication Technologies. Cities, 98, 102574. https://doi.org/10.1016/j.cities.2019.102574